Der emotionale Balanceakt beim Firmenverkauf

Der Verkauf der eigenen Firma kostet Überwindung. Viele machen sich zu spät Gedanken, was einst aus ihrem Lebenswerk werden soll. E-Commerce-Pionier Samy Liechti, Gründer von Blacksocks, hat mit 54 Jahren frühzeitig einen Schlussstrich gezogen.

Autor: Philippe Obrist, Leiter Firmenkunden bei Raiffeisen Schweiz

Über 10’000 KMU werden in der Schweiz jedes Jahr verkauft. Meist stammt der Käufer aus den eigenen Reihen: Der Verkauf innerhalb der Familie oder an Schlüsselmitarbeitende (Management-Buy-out) ist die häufigste Form des Verkaufs. Ist eine Übernahme durch Familienmitglieder oder Mitarbeitende keine Option, bleibt nur die Weitergabe an eine externe Partei. Doch leider lässt sich eine Firma nicht so einfach verkaufen wie ein Auto. Oft fehlt es an Interessenten und am Ende bleibt nur die Liquidation.

Fast jedes dritte KMU verschwindet, weil es keine Nachfolgelösung findet. Das hat auch damit zu tun, dass der Verkauf häufig zu lange hinausgeschoben wird. Ein Unternehmen, das nicht mehr auf der Höhe der Zeit ist, lässt sich nur schwer verkaufen. Samy Liechti wurde sich vor einigen Jahren bewusst, dass die Zukunftsaussichten seiner Firma nicht die rosigsten sind: «Kleinere E-Commerce-Unternehmen werden es künftig schwer haben gegen die grossen Marktführer», sagt der Gründer von Blacksocks. «Es war Zeit, einen Schlussstrich zu ziehen – auch weil ich noch etwas anderes machen wollte.»

Von der Gründungseuphorie in den Alltagstrott

Als Samy Liechti sein Unternehmen 1998 gründete, steckte der Onlinehandel noch in den Kinderschuhen. Google war damals noch keine Suchmaschine und der beliebteste Browser hiess Netscape. Der Unternehmer aus dem Seeland realisierte als einer der Ersten, dass die Zukunft im Onlineshopping liegt. Im Alter von 29 Jahren entwickelte Liechti mit seinem Geschäftspartner eine Lösung für ein Problem, das jeder kennt: löchrige Socken. Das Duo beschloss, Socken im Abo anzubieten – vornehmlich dunkle für den Geschäftsalltag.

Ohne Investoren im Rücken bauten die beiden Gründer einen Webshop auf. Die Idee schlug ein und bald schon zählte Blacksocks 60’000 aktive Kundinnen und Kunden. Der Erfolg war von Dauer, doch nach gut 20 Jahren verlor der CEO allmählich die Freude am operativen Geschäft: «Als wir unseren Auftritt zum dritten Mal neu designten, merkte ich, dass ich mich nach etwas Neuem sehnte», erzählt Samy Liechti. Sein Geschäftspartner hatte die Firma bereits verlassen und auch der CEO begann, über den Ausstieg nachzudenken, doch im Tagesgeschäft blieb dafür nicht viel Zeit. Rückblickend sagt Liechti: «Sobald Zweifel aufkommen, sollte man handeln und nicht einfach weitermachen.»

Ein Kaufangebot aus heiterem Himmel

Ein Kaufangebot rüttelte Samy Liechti schliesslich wach. Im März 2023 trat die Jacob Rohner AG an den CEO von Blacksocks heran. Das Traditionsunternehmen aus dem Thurgau sah in Liechtis Unternehmen eine Möglichkeit, die Umsätze im Onlinegeschäft auszubauen. Der CEO packte die Gelegenheit beim Schopf und nahm die Verhandlungen auf. Ein befreundeter Anwalt unterstützte ihn im Verkaufsprozess. «Ich war froh um Unterstützung», sagt Samy Liechti. Die Verhandlungen erwiesen sich als nervenaufreibend. «Mit einem Profi an der Seite kann man sich emotional eher rausnehmen und es ist schlicht nicht möglich, jeden einzelnen Schritt im Alleingang zu machen.»

Sechs Monate nach der ersten Kontaktaufnahme war der Vertrag unterzeichnet – eine Seltenheit. Oft zieht sich ein Verkaufsprozess über ein Jahr oder mehr hin. M&A-Berater, die Unternehmen beim Verkauf unterstützen, bringen meist mehrere Interessenten ins Spiel. Das macht die Verhandlungen komplexer und langwieriger. «Auch ich hätte vielleicht mehrere Optionen haben können», gibt Samy Liechti zu. In der Vergangenheit hatte er immer wieder einmal ein Interesse an seinem Unternehmen gespürt, sich aber nicht weiter darum gekümmert. Anderen empfiehlt er, frühzeitig die Fühler in der eigenen Branche auszustrecken und eine Liste mit Kandidaten anzulegen.

Wer einen Plan hat, holt mehr heraus

Samy Liechti hat rechtzeitig erkannt, dass es Zeit ist, sein Unternehmen zu verkaufen. Viele Eigentümer ziehen dies jedoch nicht in Betracht, selbst wenn sich die Wettbewerbssituation verschärft und Veränderungen am Markt ein Handeln erfordern. Auch wenn ein Unternehmen rasch wächst und das Wachstum kaum noch selbst stemmen kann, kann ein Verkauf sinnvoll sein.

Mit Blick auf den Erlös ist eine längerfristige Planung ebenfalls empfehlenswert, da das Unternehmen für den Verkauf fit gemacht werden muss. Dabei ist auch zu bedenken, dass der Verkaufserlös häufig einen wesentlichen Beitrag zum später verfügbaren Vermögen in der Pension leistet. Mit der Unterstützung durch externe Expertinnen und Experten kann der Verkaufspreis optimiert werden.

Beim Loslösen kommen die Emotionen

Den Verkaufsprozess hat Samy Liechti als emotionale Achterbahnfahrt in Erinnerung. «Viele denken, bei einem Verkauf gehe es vor allem ums Geld, doch am Ende geht es immer nur um die Emotionen», sagt der 55-Jährige. Er sorgte sich um die Mitarbeitenden und um die Zukunft der Firma. «Freunde oder Familienmitglieder, die in einem Anstellungsverhältnis arbeiten, können diese Situation nur schwer nachvollziehen. Am besten tauscht man sich mit anderen Eigentümern aus, die Ähnliches erlebt haben.»

Neben den Sorgen um sein Lebenswerk beschäftigte Samy Liechti auch die Frage, wie es mit ihm selbst weitergeht. Zehn Jahre vor dem regulären Pensionierungsalter war für ihn noch alles offen. Vor ihm lag eine beängstigende Leere: «Ich hatte zuerst Bedenken, mein Unternehmen zu verkaufen, ohne einen Plan für meine Zukunft zu haben.» Doch das plötzliche Verkaufsangebot zwang Liechti, sich ins Unbekannte zu stürzen. Bei der Unterzeichnung des Verkaufsvertrags wusste er immer noch nicht, wohin die Reise gehen sollte.

Der Neuanfang als grösste Herausforderung

Die Neuorientierung nach 25 Jahren als Vollblutunternehmer brauchte Zeit. «Ich dachte, ich gehe ein paar Mal spazieren und dann habe ich einen Plan», erinnert sich Samy Liechti. Doch so einfach war es nicht. Im Nachhinein ist er sich bewusst: «Die Zeit nach dem Verkauf war für mich die grösste Herausforderung.» Plötzlich hatte Liechti alle Zeit der Welt, doch das fühlte sich nicht richtig an. «Ich war versucht, möglichst rasch wieder irgendwo einzusteigen, aber ein Freund gab mir den Rat, nichts zu überstürzen.»

Samy Liechti nahm sich diesen Rat zu Herzen, um herauszufinden, was er wirklich will. Dabei wurde ihm klar, dass er nicht mehr operativ in einem Unternehmen arbeiten möchte. Heute ist Liechti als Berater tätig und gibt seine Erfahrungen an andere weiter, unter anderem im Raiffeisen-Unternehmerzentrum RUZ. Zudem hat er ein Verwaltungsratsmandat übernommen und unterstützt eine Fondsleitung bei Investmententscheidungen. «Diese Tätigkeiten sind für mich heute erfüllender als die Arbeit als Geschäftsführer», sagt er mit Überzeugung. Das Neue, von dem er in den letzten Jahren träumte, ist eingetroffen.

www.raiffeisen.ch

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