Der Tourismus gilt heute als der drittwichtigste Wirtschaftszweig und als ein Aushängeschild der Schweiz. In den 1750er-Jahren besuchten die ersten englischen Touristen die Schweiz. Mit der Erstbesteigung der Jungfrau 1811 und des Faulhorns 1812 setzte die lange Reihe der Gipfelstürme ein. Ab etwa 1870 begann eine gezielte Vermarktung der winterlichen Tourismusregionen. Und mit der Eröffnung der ersten Zahnradbahn in Europa auf die Rigi Kulm begann der Siegeszug der Schweizer Bergbahnen.
Sechs Goldstücke erhielten die beiden Schweizer Träger 1868, als sie Queen Victoria in einer Sänfte auf die Rigi Kulm trugen, so steht es geschrieben in den Annalen des Rigi-Kulm-Hotels. Wäre das Oberhaupt der britischen Monarchie doch bloss drei Jahre später gekommen, dann hätten sich die beiden Schweizer den schweisstreibenden Einsatz sparen können und die Dampflok der ersten Zahnradbahn in Europa hätte die Arbeit erledigt. Zischend und schnaubend hätte sie die Königin bergan geschoben.
Die Zahnradbahn, welche am 21. Mai 1871 in Betrieb genommen wurde, war eine Weltsensation. Die Rigi ist mit 1797 Metern über Meer zwar nicht besonders hoch, aber mit der ersten Zahnradbahn Europas weltbekannt und der Anfang der touristischen Entwicklung der Schweiz und ganz Europas. Bereits drei Jahre nach der Eröffnung beförderte die Rigi-Bahn 50’000 Gäste auf die Rigi Kulm. Die Region um das Bergmassiv am Vierwaldstättersee wurde zum Hotspot wohlhabender Europäerinnen und Europäer. Die Lok 7, auch liebevoll «s Sibni» genannt, die damals im Einsatz war, schnaubt noch heute und ist damit die einzige noch fahrende Zahnraddampflok der Welt.
Ohne Riggenbach keine Rigi-Bahn
Zu verdanken hat die Rigi ihre Zahnradbahn dem Technikpionier Niklaus Riggenbach. Der gebürtige Elsässer war ein einfallsreicher und ehrgeiziger Bahnfachmann. Für die Überwindung von Bergstrecken entwickelte er zu Beginn der 1860er-Jahre eine Leiterzahnstange als Mittelschiene und wollte damit die Alpenüberquerung erleichtern. Riggenbach wollte mit seinem System über den Gotthard rüber, Louis Favre, der Erbauer des Gotthardtunnels, wollte unten durch. Wer den Zuschlag bekam, ist wohl bekannt. Das Problem war: Riggenbach fehlte es an gesellschaftlichem Ansehen, notwendigem Kapital und den richtigen Freunden.
Doch dann kam ihm Silvester Marsch zuvor und eröffnete 1866 die erste Bergzahnradbahn der Welt auf den Mount Washington in den USA. Immerhin war der Beweis erbracht, dass eine Zahnradbahn effektiv realisierbar war. Die Eroberung des 1917 Meter hohen Mount Washington bewog John Hitz, den damaligen Schweizer Generalkonsul in Washington, bei einem Besuch in der Schweiz Ende Mai 1867 Riggenbach den Vorschlag zu machen, eine Leiterzahnstange an der Rigi zu verwenden. Gesagt, getan. Dank der Zusammenarbeit mit den einflussreichen Ingenieuren Adolf Näff und Olivier Zschokke und dem Luzerner Kantonsparlament, das dem Konzessionsgesuch für die Vitznau-Rigi-Bahn innerhalb weniger Wochen im Juni 1869 zustimmte, stand dem Bau der ersten Zahnradbahn in Europa nichts mehr im Weg. Der Rest ist bekannt und Niklaus Riggenbach ging als Begründer und Vater der Schweizer Bergbahnen in die Geschichtsbücher ein.
Tourismus-Boom und Bauwelle
Die fünf Kilometer lange Bahnstrecke, die in einer rund einstündigen Fahrt zurückgelegt wird, löste einen touristischen Boom aus und der Erfolg der Bahn rief rasch Nachahmer auf den Plan. Vier Jahre später wurde eine weitere Linie eingeweiht, diesmal von Arth im Kanton Schwyz via Goldau auf die Rigi Kulm. Zahlreiche Bergbahnen im ganzen Alpenraum folgten. Den Höhepunkt dieser Bauwelle bildete die Jungfraubahn, die 1898 begonnen und 1912 fertiggestellt wurde und Passagiere auf das 3454 Meter hoch gelegene Jungfraujoch führt.
Das Zahnstangensystem von Niklaus Riggenbach, das vor über 150 Jahren erfunden wurde, gehört heute noch zu den verbreitetsten Zahnradsystemen in Europa. Damit lassen sich Steigungen von bis zu 50 Prozent bewältigen. So lebt das Erbe des Schweizer Eisenbahnpioniers weiter. Mit über 40 bestehenden Zahnradbahnen ist die Schweiz heute noch führend in dieser Technologie. Mit 48 Prozent Steigung ist die Zahnradbahn auf den Pilatus zudem die steilste Zahnradbahn der Welt. 1889 wurde sie in Betrieb genommen und verblüfft noch heute mit ihrer ausgeklügelten Technik.
Die grossen Herausforderungen der Zukunft
Diese Technologieführerschaft sorgte unter anderem dafür, dass die Schweizer Bergbahnen jahrelang vom Erfolg verwöhnt waren. Insbesondere die grossen Bahnbetriebe profitierten von den internationalen Tourismusströmen. Ohne Corona-Pandemie wären auch 2020 weitere Rekordwerte möglich gewesen. Doch die Folgen der Pandemie haben diesen Aufwärtstrend jäh gestoppt. So betrug die Bruttowertschöpfung der Schweizer Bergbahnen im Jahr 2019 insgesamt 575 Millionen Schweizer Franken. Im Jahr 2020 lag diese nur noch bei 535 Millionen Schweizer Franken. Und 2021? Auch hier hat die Pandemie ihre Spuren in den Jahresabschlüssen der grossen Unternehmen hinterlassen. Dank guter Schneeverhältnisse und viel Sonnenschein freuten sich die Schweizer Bergbahnen und Seilschaften zumindest über einen guten Start in die Wintersaison 2021/22. Doch wie sieht die Zukunft aus? Klimawandel, Umweltschutz und neue Freizeitgestaltungsformen – diese und ähnliche Tatsachen zwingen die Bergbahnen dazu, auf den grundlegenden Umbruch ihres Marktes zu reagieren.
Zu den grossen Herausforderungen der Schweizer Bergbahnen zählt die marktfähige und finanzierbare Erneuerung bestehender Angebote – dies bei der gleichzeitigen Optimierung und Weiterentwicklung der Angebote zu einem Ganzjahreserlebnis. Wachstum und Erschliessungen von neuen Gebieten gehören zur Vergangenheit. Gefragt sind Konzepte, die das Erlebnis des Gastes in den Vordergrund stellen, Synergien nutzen und langfristig den Herausforderungen des Klimawandels gewachsen sind.
Kein alpines «Disneyland»
Dabei werden vor allem die Gastronomie und Erlebnisinszenierungen in der Natur immer wichtiger und bedingen eine verstärkte Zusammenarbeit innerhalb der Destinationen und über diese hinweg. Nur so wird es gelingen, Skier Days zu steigern und neue Märkte zu erschliessen. Grosses Potenzial sehen Experten zudem bei der Optimierung der Rahmenbedingungen. Hinzu kommt, dass die Schweizer Berge immer häufiger als Rückzugsgebiet des Mittellandes fungieren. Dabei darf die Bergwelt nicht zu einem alpinen «Disneyland» verkommen, sondern es muss behutsam mit dem Kapital «Natur und Landschaft» umgegangen werden.
Eine weitere Herausforderung ist die Entwicklung hin zu einer Ganzjahresdestination. Dem Profil einer Ganzjahresdestination entsprechen Betriebe, die von einem sogenannten «Leuchtturm» profitieren können. Das sind einmalige Attraktionen – oft ein Ausflugsgipfel mit hoher internationaler Strahlkraft. Davon profitieren diese Bergbahnen und Destinationen über das ganze Jahr, gerade wenn sie günstig an den internationalen Touristenachsen liegen und gut erreichbar sind. In diese Kategorie fallen drei der grössten Schweizer Bergbahnen: die Jungfraubahnen mit dem Jungfraujoch – Top of Europe, Zermatt mit dem Matterhorn und Engelberg-Trübsee-Titlis mit dem Titlis-Gletscher. Die Jungfraubahnen nutzen nicht ohne Grund den Ansturm des asiatischen Markts. Bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie kamen sieben von zehn Joch-Touristen aus Asien.
Die Ausnahme bestätigt die Regel
Es bleibt die Frage, wie jene Bahnen ihr Sommergeschäft stärken, die über kein solches Alleinstellungsmerkmal verfügen. Grosse Bergbahnen, die zu klassischen Skidestinationen geworden sind, versuchen schon länger, ihr Sommerangebot auszubauen. Heute setzen sie auf Events, Projekte und Kooperationen mit überregionaler Ausstrahlung. Ebenso
erfolgsentscheidend ist eine gekonnte Erlebnisinszenierung. Die Weiterentwicklung zu einem erfolgreichen Ganzjahresbetrieb gehört zu den anspruchsvollsten Aufgaben, die eine Bergbahn im Alleingang kaum bewerkstelligen, geschweige denn finanzieren kann. Sie lässt sich nur durch ein gelungenes Hand-in-Hand-Gehen aller Akteure der Destination bewältigen.
Kleine, auf den Winter ausgerichtete Bahnen scheinen gefährdet zu sein, zumal sie ihre Zukunft eher pessimistisch einschätzen. Die Vertreter dieses Segments tun sich schwer, die finanziellen Mittel für Investitionen in Bahninfrastruktur und Beschneiung aus eigener Kraft aufzubringen. Allerdings bestätigt auch hier die Ausnahme die Regel. Bestes Beispiel ist die die Berner Oberländer Skilift AG Innereriz, die bei der Bewältigung ihrer finanziellen Aufgaben kreativ wird und ihre starke regionale Verankerung gekonnt ausspielt. Ihr Einzugsgebiet ist die Region Thun.
Schüssel zum Erfolg: klare Positionierung
Von aussen betrachtet könnte die Bahn als vom Aussterben bedroht gehalten werden: klein, tief gelegen und ohne Sommeraktivitäten. Für den Snowpark Eriz besteht das Risiko, grössere Investitionen nicht allein aufbringen zu können, dem Klimawandel zum Opfer zu fallen und ohne Sommertourismus wertvolle Umsatzchancen zu vergeben. Das Gegenteil ist aber der Fall. Grund dafür ist seine klare Positionierung als Familiendestination mit kleinen Kindern, die das Skifahren lernen wollen. Im Innereriz unterhält das Bergbahnunternehmen zwei einfache Liftanlagen. Die Belegschaft arbeitet nur in Teilzeit oder auf freiwilliger Basis. Entsprechend tief bleiben die Kosten.
Als 2016 die Konzession einer Liftanlage auslief und eine Erneuerung anstand, konnte das Unternehmen die benötigten 700’000 Schweizer Franken aus vorhandenen Reserven, durch einen Zuschuss des Kantons und eine Erhöhung des Aktienkapitals beschaffen. Die Aktionäre erwarten keine Dividende. Sie fühlen sich dem Skigebiet verbunden und sind aus emotionalen Beweggründen dabei. Gleichzeitig ist auf diese Weise eine Community in der Region entstanden. Das Erfolgsrezept des Snowparks Eriz ist leicht erklärt, aber schwer zu imitieren: ein Nischenmarkt, ein passioniertes Team, tiefe Kosten und eine starke regionale Verankerung. Dieses Geschäftsmodell funktioniert. Zwar ist der Sommertourismus aufgrund der Moorlandschaft und der damit verbundenen baulichen und nutzungstechnischen Einschränkungen nicht möglich. Trotzdem zieht das Skigebiet jeden Winter genügend Familien aus der Region Thun an und schreibt schwarze Zahlen.
Der Fremdenverkehr gilt heute als der drittwichtigste Wirtschaftszweig und als ein Aushängeschild der Schweiz. Im Jahr 2019 hat der Tourismus knapp 47 Milliarden Franken Umsatz generiert. Davon stammen 55.8 Prozent von übernachtenden Gästen.Die drei Tourismusprodukte Beherbergung, Verpflegung und Transport von Touristen sind für 62.1 Prozent der gesamten touristischen Wertschöpfung verantwortlich. Mit 19.5 Milliarden Franken (Stand: 2019) trägt der Tourismus massgebend zur Wertschöpfung in der Schweiz bei. Rund 40 Prozent der touristischen Nachfrage stammen aus dem Binnentourismus, also von Schweizer Reisenden in der Schweiz. Gut 4 Prozent aller Beschäftigten in der Schweiz arbeiten im Tourismus. Die meisten Arbeitsplätze finden sich in den arbeitsintensiven Tourismusprodukten Beherbergung und Verpflegung. Ende 2020 beschäftige die Schweizer Tourismusbranche über 227’000 Menschen in Voll- oder Teilzeit.