In den letzten Jahren wurden verschiedene elektrisch angetriebene Schiffe präsentiert, bei denen der Strom solar auf dem Schiff selbst produziert wird. Das funktioniert gut, vorausgesetzt die Sonne scheint. Um beispielsweise schlechtes Wetter bei längeren Fahrten auf dem Meer zu überbrücken, bedarf es eines Stromspeichers. Eine Option ist der Einbau eines Akkumulators. Eine interessante Alternative ist ein Speicher auf der Grundlage von Wasserstoff. Ein solches Energiesystem hat vor kurzem die Zertifizierung erhalten. Ein zugehöriges Pilotprojekt, unterstützt vom Bundesamt für Energie, liefert Grundlagen für den Einsatz von H2-basierten Energiespeichern in Fähren und anderen Schiffstypen.
Der 2010 vorgestellte Katamaran PlanetSolar wird nicht vom Wind angetrieben, sondern von der Sonne, und das Boot sieht denn auch anders
aus, als man es sich vorstellen mag: Segel gibt es keine, stattdessen einen Elektroantrieb. Der Strom für die zwei Elektromotoren stammt von Photovoltaikmodulen, welche die Oberfläche des Boots bedecken. Die PV-Module haben eine Leistung von 90 kWp, was 15 Dachanlagen auf Einfamilienhäusern gleichkommt. Das Solarboot mit dem auffälligen Design trug mit seiner Weltumrundung zwischen 2010 und 2012 als erstes solar angetriebenes Fahrzeug die Botschaft der nachhaltigen Energieerzeugung in die Welt. 2015 übernahm der frühere Lausanner Unternehmer Marco Simeoni den Solarkatamaran, gab ihm den Namen Race-for-Water (kurz R4W) und nutzt ihn seither für eine weltweite Kampagne gegen die Verschmutzung der Ozeane durch Plastikmüll.
Zertifizierung nach drei Jahren Praxistest
Der Solarkatamaran hatte schon reichlich Publicity. Eher im Hintergrund stand bisher das neuartige Speichersystem auf der Grundlage von Wasserstoff (H2) und Brennstoffzellen-Technologie, das ab 2017 im Boot eingebaut wurde: Seither kann der Solarstrom, der nicht für die Bordsysteme benötigt wird, in Form von Wasserstoff gespeichert werden, wenn das Boot im Hafen liegt und die Batterien voll sind. Zu dem Zweck wird Meerwasser entsalzt, gereinigt und durch einen Elektrolyseur in Wasserstoff und Sauerstoff aufgespaltet. Der Wasserstoff wird in Druckflaschen gespeichert und über zwei Brennstoffzellen in Strom rückverwandelt, wenn das Boot Antriebsenergie benötigt (vgl. Textbox 1).
Das H2-basierte Energiespeichersystem ergänzt auf der R4W das Speichervolumen der Lithium-Ionen-Akkus. Er vergrössert die Reichweite des hochseetüchtigen Solarboots in Zeiten ohne Sonnenschein von zwei auf sechs Tage. Der Einbau des Systems dauerte von Februar 2017 bis Juli 2018. Mehrmals wurden seither Komponenten des ausgeklügelten Energiesystems optimiert. Im Januar 2020 erfolgte schliesslich die Zertifizierung durch die Organisation DNV-GL (Det Norsk Veritas Germanischer Lloyd), eine internationale Gesellschaft, welche unter anderem technische Gutachten und Zertifizierungen im Schifffahrtsbereich vornimmt.
Möglichst leicht, möglichst kompakt
Mit der Zertifizierung ist der Reifegrad für kommerzielle Anwendungen erreicht. Bis dies Realität wurde, war das Speichersystem auf einer Strecke von 28’000 nautischen Meilen (ca. 52’000 km) in Betrieb. In der Zeit konnten mit der Versuchsplattform eine Vielzahl von Erfahrungen gewonnen werden. «Wir haben mit der R4W gezeigt, wie unter den spezifischen Gegebenheiten eines hochseetüchtigen Boots eine autarke Produktions-, Speicher- und Umwandlungsplattform für grüne Energie zuverlässig
arbeitet», sagt Alexandre Closset, Mitgründer und CEO des Fribourger Engineering- Unternehmens Swiss Hydrogen, welches das Projekt federführend umgesetzt hat. Die chemische Speicherung von Strom in Form von Wasserstoff wird seit langem praktiziert. Auch die Umwandlung von Wasserstoff in Strom mithilfe von Brennstoffzellen ist unterdessen gut erprobt. Die grosse Herausforderung im vorliegenden Projekt bestand darin, diesen komplexen, mehrstufigen Prozess unter den einschränkenden Bedingungen eines Bootes zu realisieren. Das Speichersystem musste möglichst leicht und platzsparend gebaut werden und dabei der unruhigen See, den extremen Temperaturen und der salzhaltigen, feuchten Luft standhalten.
Umfassendes Sicherheitskonzept
Da ein alkalischer Elektrolyseur zu gross war, entschieden sich die Ingenieure für einen kompakten Protonen-Austausch- Membran-Elektrolyseur. Um Gewicht zu sparen, bestehen die 24 Wasserstoff-Speicher aus Karbonfaser, im Innern ausgekleidet mit einem Polymer. Das Gesamtgewicht der Speicher konnte so auf rund 2’500 kg begrenzt werden. Darin finden insgesamt 165 kg nutzbarer Wasserstoff Platz, was in etwa 2.5 MWh an elektrischer Nutzenergie entspricht (für ein Brennstoffzellensystem mit 45 Prozent Wirkungsgrad). Alle Komponenten des Energiesystems (Entsalzungsanlage, Elektrolyseure, Kompressor, H2-Trockner, Wasserstoffspeicher, Brennstoffzellensystem) einschliesslich
des Containers wiegen insgesamt 6’400 kg. Zum Vergleich: Die Lithium-Ionen- Batterie, die in der R4W ebenfalls als Stromspeicher dient, wiegt rund 7’400 kg, kann aber nur 750 kWh Strom aufnehmen.
Viele Komponenten des Energiesystems sind Prototypen. Gemeinsam mit dem schwedischen Unternehmen PowerCell wurde für die vorliegende Anwendung eine Brennstoffzelle mit hoher Leistungsdichte entworfen. Wegen der Explosionsfähigkeit von Wasserstoff gelten für die ganze Anlage hohe Sicherheitsanforderungen. Jeder der 24 Wasserstoffspeicher ist mit drei thermischen Drucksicherungen ausgerüstet: Wenn im Zuge eines Brandes die Umgebungstemperatur 110 °C übersteigt, wird der Wasserstoff automatisch aus den Behältern entlassen. Zum umfassenden Sicherheitskonzept gehören Rauch- und Wasserstoffdetektoren sowie
redundante Steuerungen für eine angemessene Belüftung der verschiedenen Systemkomponenten.
Dekarbonisierung der Schifffahrt
Wegen seiner hohen Energiedichte ist (nachhaltig produzierter) Wasserstoff
eine bevorzugte Option zur Dekarbonisierung des Mobilitätssektors. Das gilt für den Strassenverkehr, in einer globalen Perspektive aber auch für die Schifffahrt. Der CO2-Ausstoss des Gütertransports auf dem Seeweg ist erheblich. Mit einer Milliarde Tonnen liegt er 50 Prozent über jenem des Frachtverkehrs in der Luft (so die Zahlen von OECD / IEA für das Jahr 2014). Mit Wasserstoff-Brennstoffzellen betriebene Elektromotoren sind eine mögliche Alternative. Die R4W bietet einen Fundus aus Erfahrungen, aus dem neue Projekte schöpfen können. Diese fliessen aktuell beispielsweise in das EU-finanzierte Projekt MARANDA ein. In dem vierjährigen Vorhaben soll bis 2021 ein Forschungsschiff, das in arktischen Gewässern operiert, mit einem Hybridsystem aus Brennstoffzellen und Batterien ausgerüstet werden, das die Bordstromversorgung speist und die Energie bereitstellt, um das Schiff während Messungen vibrationsfrei zu positionieren. Die Brennstoffzellen sind bei MARANDA gut dreimal leistungsfähiger als bei R4W. Im Unterschied zu R4W wird der Wasserstoff nicht auf dem Schiff hergestellt, sondern an Land getankt und in einem Container mit Speicherbehältern mitgeführt.
Anwendung auch auf Binnengewässern
Auch in den meisten anderen Anwendungen dürfte es zu aufwendig sein, den Wasserstoff auf dem Boot selber zu produzieren. Interessant könnte die Anwendung von Wasserstoff in kleinen Fähren, Fischerbooten, Fahrgastschiffen und Schleppern sein. Diese Schiffstypen werden so eingesetzt, dass sie nach kurzer Einsatzdauer wieder an ihren Ausgangspunkt zurückkehren und dort von Neuem mit Wasserstoff betankt
werden können.